Ich habe diese Erinnerung noch immer klar und deutlich in meinem Kopf: Die Dunkelheit in der nationalen Kinothek, ich und meine besten Freunde Benjamin und Ivonne waren bereit, gemeinsam den Film “Amores Perros” zu genießen. Es war das Jahr 2000, wir waren 24 Jahre alt. Wir sahen den Film und erkannten in ihm sofort ein Meisterwerk.
Der Stereotyp des Mexikaners, faul, immer mit Hut, hat auch uns tief geprägt. Wir müssen noch heute regelmäßig gegen ihn ankämpfen, innen wie außen. Iñárritu schaffte es, Mexiko mit diesem Film wieder in die Welt einzubringen, zeigte mit lautem Schrei, dass wir wichtige Dinge zu sagen haben und auch wissen wie sie gesagt werden müssen. Wir sitzen nicht in der Wüste, neben einem Kaktus – wir erschaffen Welten, erfinden neue Mythologien. Und wenn das Leben uns keine Chance dazu bieten will, tun wir alles, um uns die Chance selbst zu geben.
Wir sahen damals zwei Tage später auch noch “Crouching Tiger, Hidden Dragon” von Regisseur Ang Lee, den baldigen Gewinner des Oscars für den besten fremdsprachigen Film. Wir erkannten in ihm, dass ein solcher Weg schwierig ist, solche Taten, solch ein Ausdruck niemandem einfach nur geschenkt wird.
Mexiko und der Film gehen in den letzten Jahren Hand in Hand, nehmen die Träume der Menschen und geben ihnen Filme, die sie wahr erscheinen lassen. Man vergegenwärtige sich die Namen: Alfonso Cuarón (“Gravity”, Oscar für die beste Regie 2014), Alejandro González Iñárritu (“Birdman", ebenfalls Oscar für die beste Regie 2015), Guillermo del Toro, Carlos Reygadas. Es ist momentan eine Generation am Werk, die ganz klar zeigt, dass das mexikanische Dasein nicht in Schubladen gesteckt werden kann. Ihre Werke zeigen die umfassende Pluralität meines Landes auf, sie kommen aus verschiedenen sozialen Umfeldern, aus allen Regionen Mexikos. Ihre filmischen Eigenarten sind unterschiedlich, thematisch wie technisch. Doch eines zeichnet sie alle aus: Sie bleiben sich immer treu, ihre Arbeit ist kompromisslos, ehrlich.
Sie und auch Kameramann Emmanuel Lubezki (Oscar für die beste Kamera 2014 für “Gravity” und 2015 für “Birdman”), der Drehbuchautor Guillermos Arriga und der Schauspieler Gael García sind darüber hinaus auch Belege für eine immer deutlicher werdende Wahrheit: Die USA war und ist in Teilen deutlich “mexikanisiert” (oder besser “latinisiert”). Die lateinamerikanische Bevölkerung Amerikas ist ein wichtiger Teil des Landes, wirtschaftlich, wissenschaftlich und nicht zuletzt kulturell.
Trotz vieler Assimilierungen und kulturellem Wandel verlieren sie aber nie den Kontakt zu ihrer Heimatkultur. Die erwähnten mexikanischen Filmpersönlichkeiten zeigen, dass persönliche Geschichten universale Bedeutung haben könnend und dass man hoch hinaus fliegen, große Erfolge feiern kann, ohne auf dem Weg seine Wurzeln zu leugnen oder seine Ideale zu verraten.
Damals, an diesem jetzt fernen Tag im Jahr 2000, fühlte ich mich im dunklen Kino stolz, stolz darauf, Landsmann und Zeitgenosse von Iñárritu und Gael García zu sein. Im vergangenen Jahr gewann Alfonso Cuarón den Oscar für Gravity, jetzt hat ihn Alejandro González Iñárritu, und zwar absolut zurecht. Zwei große Tage für die mexikanische Künstlerwelt und an beiden fühlte ich diesen Stolz. Das mexikanische Pantheon der Künstler ist riesig: Es wird überwacht von Frida Kahlo und Diego Riveira, Malern wie Siqueiros, Rufino Tamayo, Toledo, Schritstellern wie Carlos Fuentes oder Octavio Paz, dem Fotografen Alvares Bravo. Doch Iñárritu, Cuarón und ihre Gefährten sind mir nicht so fern wie sie, ich las nicht über sie in Büchern wie über ein vergangenes Goldenes Zeitalter, ich erlebte und erlebe die Veränderung, es ist, als wäre ich Teil von etwas Großem.
Seit mehr als 15 Jahren erlebt Mexiko dunkle Stunden, eine sehr hässliche Dunkelheit, die uns nach und nach aller Freude beraubt. Beide Regisseure haben auf dem Höhepunkt ihres Erfolges, am Rednerpult auf der Oscar-Tribüne offen die mexikanische Regierung kritisiert. Ein eindrucksvoller Beweis ihrer moralischen Standfestigkeit, wie ich finde.
Und ein deutliches Zeichen. Als ich vor fünfzehn Jahre das Kino nach dem Ende von “Amores Perros” verließ, da wusste ich, dass wir Mexikaner in einer globalisierten Welt auch etwas zu sagen haben, unsere Arbeit und Meinung genauso viel zählen kann, wie die aller anderen Menschen und Völker. Ich fühle mich, selbstbewusst und stolz, als Teil dieser außerordentlichen kreativen Kraft und Tradition meines Landes. Es bleibt nur noch zu sagen: Gracias Iñárritu. Estoy Orgulloso. Salud y pa’ delante!
Oscar Ledesma
Künstler und Galerist. Essen/Mexiko.
www.oscarledesma.net
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